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Christof Totschnig
"Lernziel Deutsch" versus "Stufen International" - (k)ein Vergleich

Erschienen im Informationsblatt der Österreich-Kooperation Nr. 14/15, März 1999.

Erschienen: Juli 2001
Empfohlene Zitierweise:

Christof Totschnig: "Lernziel Deutsch" versus "Stufen International" - (k)ein Vergleich (Juli 2001), in: g-daf-es <http://www.g-daf-es.net/lesen_und_sehen/texte/ct4.htm>.

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieses Beitrags hinter die URL-Angabe in runde Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse.

Seit Oktober 1997 arbeite ich als Lektor am "Departamento de Filología moderna - Area alemán" der Universität Salamanca. Meine Lehrverpflichtungen betreffen zu drei Vierteln den Bereich "Sprachunterricht für Studienanfänger", d.h. Anfängerunterricht, da hier für den Beginn eines Germanistikstudiums keine Grundkenntnisse vorausgesetzt werden. Schon bald nach Beginn meiner Tätigkeit wurde mir klar, dass ich, sollte ich hier länger arbeiten wollen, nicht umhin kam, an einer für Unterrichtsmethodik wie Lernzielbestimmung nicht unwesentlichen Arbeitsvorgabe zu rütteln. Warum und wie es dazu gekommen ist, dass seit Herbst letzten Jahres am Germanistikinstitut der Universität Salamanca anstelle des Lehrbuchs "Lernziel Deutsch" (Hueber 1983) "Stufen International" (Klett 1997) verwendet wird, und die ersten Arbeitserfahrungen mit dem neuen Lehrbuch sollen Gegenstand dieses Beitrags sein.

Bei meiner Ankunft in Salamanca fand ich in bezug auf Unterrichtsorganisation und Arbeitsteilung zwischen den einheimischen Lehrkräften und deutschen/österreichischen LektorInnen folgenden Status quo vor: die zehn Stunden Sprachunterricht in der Woche, die eine Germanistikstudentin in Salamanca im ersten Studienjahr absolviert, teilten sich in vier Stunden "teoría" und sechs Stunden "prácticas" auf. Für die "teoría" ist ein spanischer Kollege zuständig, für die "prácticas" die LektorInnen aus Deutschland und Österreich. Unter "theoretischem" Sprachunterricht ist auf Spanisch abgehaltener Frontalunterricht zu den einzelnen Grammatikkapiteln zu verstehen. Das Lehrbuch "Lernziel Deutsch" (Hueber 1983) stellte hierfür Kästchen mit den Konjugations- und Deklinationsmustern und die Grammatikphänomene illustrierende Textchen zur Verfügung. In den "prácticas" sollte man sich dann den jeder Lektion beigegebenen Dialogen und den unzähligen Einsetz- und Umformungsübungen aus dem Lehr- und dem Arbeitsbuch widmen. Ein Sprachunterricht, der den Studierenden das Deutsche nicht nur als Puzzle bestimmter Wortendungen, sondern als kommunikatives Werkzeug und Brücke zu (relativ) fremden, dadurch vielleicht interessanten Ländern nahebringt, der, entgegen der hiesigen, zum Beispiel auch im Literaturunterricht massgeblichen Tradition, Anwendungswissen vor Faktenwissen stellt, war mit "Lernziel Deutsch" nicht zu organisieren: die nicht didaktisierten, auch kaum didaktisierbaren Dialoge erwiesen sich als "kommunikatives Alibi" - beispielhaft erlebte ich bei den Partikeln, die zwar in grosser Zahl in die Dialoge verwurstet wurden, spezifischer Übungsparcours und Erläuterungen jedoch nicht für wert befunden wurden, wie wenig didaktische Unterstützung mir vom Buch zuteil wurde. Zudem führten die Dialoge den Lernenden ein Gruselkabinett von xenophoben Nachbarinnen, furchteinflössenden Postangestellten und um die Jungfräulichkeit ihrer Töchter besorgten Müttern vor - eine menschliche Fauna, die selbst ihrem Erfinder Deutschland so verleidet hat, dass er mit einem Gutteil seiner Lehrbuchgestalten nach Japan auswanderte und sie nun in Osaka "ein Kilo Kartoffeln, eine Flasche Wein und einen Liter Milch" kaufen liess. Die Buntheit der Alltagsrealität in Deutschland (geschweige denn in Österreich und in der Schweiz) dem Lernenden sinnlich erfahrbar zu machen, diesen zum Vergleich des Fremden mit dem Eigenen einzuladen, kurz Sprache mit Inhalten zu verknüpfen, ist dem grau und braun gehaltenen Buch kein Anliegen. Gleiches gilt für die Schulung des Hörverstehens, Vermittlung von Lesestrategien und Aussprachetraining.

Meine Unzufriedenheit teilte ich mit meinen jüngeren spanischen und deutschen Kolleginnen. Anlässlich einer Institutskonferenz brachten wir unsere didaktischen Vorbehalte gegenüber dem Lehrbuch zur Sprache und damit eine Lehrbuchdiskussion in Gang, in der die älteren, für die Wahl von "Lernziel Deutsch" verantwortlichen Kollegen das Buch wegen seiner steilen Grammatikprogression, die es erlaube, in zwei Semestern die "gesamte" Grammatik durchzunehmen, verteidigten. Wir hielten dem vor allem zwei Argumente entgegen: ein grundsätzliches und ein eher diskussionstaktisches: zum einen waren wir der Meinung, dass sich die Lernzielbestimmung für Sprachunterricht nicht in einem Grammatikcurriculum erschöpfen sollte - um Rückendeckung durch die neueren fremdsprachendidaktischen Ansätze waren wir natürlich nicht verlegen (Begriff der vier Fertigkeiten, Sprachhandlungsfähigkeit etc.). Zum anderen meinten wir, dass selbst im Bereich "Grammatikvermittlung" das bislang verwendete Buch mit seiner (in der Tat rasanten) Kraut-und-Rüben-Progression und seinen unzähligen öden Kästchen weit hinter anderen Lehrwerken mit ihren Lernhilfen (Visualisierungen, signalgrammatische Kennzeichnung, induktive Lernparcours, konzentrische Grammatikprogression etc.) zurückbleibe. Wir schlugen "Stufen International" von Anne und Klaus Vorderwühlbecke vor, das, lerntheoretisch fundiert, in seinem Grammatikteil all diese Lernhilfen bietet, in seiner Lernzielbestimmung alle vier Grundfertigkeiten wichtig nimmt, sich in seinen Texten und Themen um ein breites, pluralistisches Bild der Alltagsrealität in den deutschsprachigen Ländern bemüht und zuguterletzt auch noch seine Lehrbuchgeschichte in einer Heidelberger Studenten-WG spielen lässt - damit liessen sich die StudentInnen auch ein wenig auf ihre Erasmussemester in Deutschland und Österreich vorbereiten. Nach diesem ersten Austausch von Argumenten fand die Lehrbuchdiskussion in einigen tumultuösen Sitzungen ihre Fortsetzung, bei denen wir Jüngeren Mühe hatten, den gepanzerten Begriff des "Wesentlichen" (=Grammatikwissen) der Gegenseite zu knacken. Letztendlich machte sich unsere Hartnäckigkeit doch bezahlt und die beiden älteren Kollegen, eine seit vielen Jahren in Spanien lebende Deutsche und ein Spanier (beide mit dem Status von "profesores titulares") gaben ihren, im stark hierarchischen Gefüge alles entscheidenden, Segen zur Einführung von "Stufen International".

Im gerade zu Ende gegangenen Semester habe ich in zwei Lehrveranstaltungen mit dem neuen Buch gearbeitet. Die dabei gemachten, unterschiedlichen, Erfahrungen haben mir die Binsenwahrheit in Erinnerung gebracht, dass mit Lehrtraditionen in aller Regel auch Lerntraditionen parallel gehen. Zum einen war ich für sechs Wochenstunden "prácticas" mit Hauptfachstudenten verantwortlich, denen in vier vorgeschalteten Stunden "teoría" wie gehabt das Grammatiksystem des Deutschen auf Spanisch dargeboten wurde, wobei der (spanische) Kollege sich im grossen und ganzen an die von "Stufen" vorgeschlagene Progression hielt, mit den Grammatik-Seiten des neuen Lehrbuchs inklusive Lernhilfen arbeitete. Ich richtete meine Stunden an den vier Grundfertigkeiten aus und war um entsprechendes Lehrmaterial (didaktisierte Dialoge, die verschiedenen Verstehensstrategien trainierende Hörübungen und Lesetexte, Redeanlässe, die von landeskundlichen Informationen ausgehen und zu Kulturvergleichen einladen - dies alles kapitelweise zu attraktiven Schlaglichtern auf das Reden und Leben in den deutschsprachigen Ländern verschränkt) selten verlegen. Mit dieser Art "abgefedertem Methodenwechsel" muss es wohl zusammenhängen, dass ich in dieser Lehrveranstaltung von Anfang an Deutsch als Sprache des "classroom discourse" einsetzen konnte, dass die Lernenden bereit waren, den für sie ungewöhnlichen "Anfangsschock" auszuhalten. In einem zweiten Sprachkurs für Anfänger, diesmal Nebenfachstudenten, den ich in Zusammenarbeit mit einer deutschen Kollegin hielt und bei dem wir die Trennung in "teoría"- und "prácticas"-Stunden aufhoben, liess hingegen der "Anfangsschock" einige Studenten panisch und bald beim Institutsvorstand mit der Bitte um einen konventionellen (d.h. hauptsächlich auf Spanisch gehaltenen) Deutschkurs vorstellig werden. Es gelang uns, die Unruhe in der Lerngruppe dadurch aufzufangen, dass wir zum einen in einer Stunde unser fremdsprachendidaktisches Konzept (auf Spanisch) erklärten, zum anderen uns im Fortgang des Semesters um eine klarere Strukturierung des Unterrichtsgeschehens bemühten und möglichst oft das didaktische Warum bestimmter Übungsformen (zum Beispiel Lesetexte, die gerade nicht im Detail verstanden werden sollen) explizierten.

Die oben skizzierte Diskussion, in der sich Generationenkonflikt und Widerstreit zwischen iberischen und mitteleuropäischen Lehr- und Lerntraditionen überlappten, zählte zum Spannendsten (hin und wieder auch zum Befremdlichsten) meines ersten Lektorenjahrs. Ich verdanke ihr eine Klärung meiner eigenen Kriterien für einen umfassenden, sich eben nicht auf das "Wesentliche" beschränkenden Sprachunterricht. Im Rückblick auf das erste Semester mit neuem Lehrbuch und das von den Studentinnen in vier Monaten erreichte Sprachniveau vor Augen (vor allem auch im Ohr) macht mich die Gewissheit, die Lernenden mit meiner Arbeit dem Ziel "Handlungsfähigkeit mit der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern" ein Stück näher gebracht zu haben, ganz zufrieden. Zufrieden bin ich auch angesichts der Erfahrung, dass die Sprachkursarbeit mit einem klugen Buch nicht nur vergnüglicher ist, sondern um einiges weniger Vorbereitungszeit verlangt als die Arbeit gegen ein Buch und eine Methode, sodass ich hoffen kann, dass mir meine Lehrtätigkeit in Hinkunft auch mehr Zeit für meine eigenen wissenschaftlichen Interessen (die nicht unbedingt im DaF-Bereich liegen) übrig lässt.


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letzte Aktualisierung: 8. März 2004
actualizada: 8 de marzo de 2004